Das Leben des Hans Bräuninger
(22.5.1922 – 14.1.2007)
Diese ersten Jahre waren eine gute Zeit, ohne Not, ohne Hunger, ohne Krieg. Hans Bräuninger wurde am 31.Mai 1922 als erstes von insgesamt drei Kindern der Eheleute August und Paula Bräuninger in Flemsdorf in der Uckermark geboren. Zu den beiden Schwestern Lore und Rose hat der Verstorbene bis in die letzten Tage seines Lebens enge geschwisterliche Verbindung gehalten. Der Vater, der den Nachgeborenen als ein ebenso charakterfester wie gütiger und fürsorglicher Mensch in Erinnerung ist , stammte aus einer alten württembergischen Gutsverwalter- und Landwirtsfamilie, mit deren Namen sich etwa Hofdomänen wie der Einsiedel bei Tübingen oder das Gut Hammetweil verbinden. Seine Mutter Paula, eine tüchtige und weltoffene Frau, kam aus dem kleinen Örtchen Strassberg bei Augsburg, wo ihre Eltern eine Hauswirtschaft und einen Handel betrieben.
Das junge Paar hatte sich Anfang der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts entschieden, sein Glück im Osten, – der damals eigentlich eher die Mitte Deutschlands war – zu suchen und pachtete das kleine Gut Welsow, etwa 70 Kilometer nordöstlich von Berlin. Mit ihrem Fleiß und ihrer Sparsamkeit hatten es die Bräuningers bald zu etwas gebracht und konnten das Anwesen wenige Jahre später kaufen. Aus seinen Berichten und Erzählungen wissen wir, dass der junge Hans Bräuninger eine schöne und erlebnisreiche Kindheit hatte. Wie das halt so war auf dem Lande: man hatte unendlich viel Platz und Raum, man wuchs mit Tieren auf – vom Ziegenbock der vor den Leiterwagen gespannt wurde, bis zum Reitpferd, auf dessen Rücken man Ausritte machen und die Umgebung erkunden konnte. Die Familie war groß, denn zu ihr gehörten nicht nur die Eltern und Geschwister, sondern auch die vielen anderen Menschen, die auf dem Hof ihren Lebensunterhalt verdienten und denen er sich nahe und verbunden fühlte.
Hans Bräuninger war gerade mal 15 Jahre alt, als seinen Vater bei einem Erholungsurlaub im kleinen Walsertal plötzlich und völlig unerwartet ein tödlicher Herzinfarkt traf. Spätestens von da an stand er als der sprichwörtliche „Mann im Haus“ in Verantwortung – für die Familie, für Haus und Hof, für die Menschen, die davon lebten und ihn auch deshalb brauchten. Vielleicht war es eine Folge dieses schweren Einschnitts, weshalb sich bei Hans Bräuninger zwei Eigenschaften besonders ausgeprägt haben: Verantwortungsgefühl und Pflichtbewußtsein.
Der Begriff „Dienst“ war für ihn nie negativ behaftet. Im Dienst an anderen und im Dienst für andere sah er vielmehr für sich einen ganz wesentlichen Lebensinhalt, vielleicht sogar Erfüllung. Danach hat er gelebt, daran hat er sich gehalten. Er pflegte ein Faible für alte preußische Tugenden. Das Wort „Disziplin“ kam ihm häufiger über die Lippen, als die Worte Freizeit, Urlaub ,Spaß oder Unterhaltung. Dass er anderen ihren Spaß gegönnt hat, ist in diesem Zusammenhang kein Widerspruch. Ein Mensch, frei von Neid und Missgunst, jeder Verschwendung abgeneigt und im Grunde doch sehr großzügig.
Wer ihn näher kannte, fand schnell Gefallen an seinem Humor und der ausgeprägten Ironie, die er durchaus auf sich selbst und seine menschlichen Schwächen beziehen konnte. „Brummi“ haben ihn manche hinter seinem Rücken genannt, der Spitzname war durchaus anerkennend gemeint. Ja, er hatte Lebensfreude, auch wenn er das anderen gegenüber gern ein wenig zu verbergen suchte. Vielleicht hätte er sich von dieser Lebensfreude etwas größere Portionen gönnen sollen…
Was es heißt zu überleben und welch großes göttliche Geschenk das Leben ist, das wusste Hans Bräuninger. Als Soldat einer Transporteinheit hat er das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Gefangenschaft überlebt. Doch die Heimat und der Hof in Welsow, den er hätte übernehmen sollen, waren verloren. Dort standen jetzt die Russen und die Rückkehr hätte für den sogenannten Juncker mit gerade mal etwas über 130 Hektar Landbesitz wohl Knechtschaft bedeutet. Das kam für ihn nicht in Frage. Ein Glück, dass der Mutter und den jungen Schwestern noch rechtzeitig die Flucht zu den Verwandten im Westen gelungen war. Ein Glück auch, dass er dank Unterstützung dieser Verwandten seine Ausbildung zum Diplomlandwirt abschließen konnte und Anfang der 50 Jahre seine erste Festanstellung als Verwalter eines Gutes im ostbayerischen Grenzland fand.
1953 führte er seine Frau Inge, eine junge Hauswirtschaftslehrerin aus Schorndorf, an den Traualtar. 1954 kam der erste Sohn, Friedrich, zur Welt, im zweijährigen Rhythmus wurden dem Paar drei weitere gesunde Kinder, die Tochter Jutta und die zwei Söhne August und Joachim, geschenkt. „Kinderreich“ hat man das damals genannt, und als wahren Reichtum hat Hans Bräuninger seine Familie auch immer empfunden. Er hatte auch sein persönliches Wirtschaftswunder. 1959 übernahm der Verwalter die Leitung des Porschehofes im oberbayerischen Reifersdorf, einem großem Landwirschafts- und Viehzuchtbetrieb, wo die roten Traktoren erprobt und präsentiert wurden. Dort konnte er seinen Kindern eine ähnlich glückliche Kindheit, wie er sie selber hatte, bieten: viel Platz, viele Tiere und vor allem Menschen, die einem Nähe und Wärme gaben. An manchen Sonn-und Feiertagen saßen mal der evangelische, mal der katholische Pfarrer mit am Kaffeetisch.
Doch die schöne Zeit war nicht unendlich. Der Porschehof wurde verkauft, Hans Bräuningers Ehe zerbrach, er tat alles, um die Restfamilie zusammenzuhalten und setzte durch, dass die Kinder – was diese ausdrücklich wollten – beim Vater bleiben konnten. Diesen Kindern galt fortan seine ganze Fürsorge, eine gute Erziehung und eine gute Ausbildung wollte er ihnen mitgeben, alle vier mussten das Gymnasium besuchen, da machte er auch aus der ein oder anderen schulischen Wiederholungsrunde kein Drama. Seine Hoffnungen, dass eine erneute Eheschließung der Familie gut tun würden, haben sich nicht erfüllt. Egoistisch, wie Kinder nun mal sein können, wollten sie den Vater nicht teilen und gingen in Opposition. So kam es zur Trennung von seiner zweiten Frau Irmela, mit der ihn bis zu seinem Tode eine enge Freundschaft verband.
Es war gewiss nicht einfach, als Hans Bräuninger, der alleinerziehender Vater mit vier Kindern, 1969 seinen Posten als neuer Gestütsverwalter des Haupt- und Landgestüts in Marbach antrat. Sein Unternehmen Familie stand unter besonderer Beobachtung. Dass dies alles gut gegangen ist, hat ihm Achtung und Anerkennung eingebracht, vielleicht noch mehr Respekt, als seine beruflichen Qualitäten und seine eigenwillige Art Menschen zu führen, Leistung zu bringen und Pflicht zu erfüllen. Die Zeit in Marbach war ein gutes und wichtiges Kapitel im Leben des Verwalters. Wenn er auf seinen Dienstpferden Pregel oder später mit dem Araberhengst Gharib an schönen Tagen zur Inspektion ausgeritten ist, dürfte er wohl so manche Momente der inneren Zufriedenheit, der Dankbarkeit und vielleicht sogar Glücks empfunden haben. Doch so genau wissen wir das nicht, denn über Glück und Glücklichsein hat Hans Bräuninger, der Mann des Dienstes, eigentlich nie gesprochen. Pension oder Ruhestand war für ihn kein erstrebenswertes Ziel. Er war vielmehr froh darüber, dass er bis zum Alter von 67 Jahren weiterarbeiten konnte. Sich einzubringen und gebraucht zu werden, das war ihm wichtiger, als vieles andere.
Der Tod seiner geliebten Tocher Jutta 1995 hat den alten Mann verbittert, die Trauer ist nie aus seinem Herzen gewichen. Das spürten sogar seine fünf Enkelkinder, denen er – wenn er es denn gekonnt hätte – gewiß gerne mit etwas mehr Fröhlichkeit und Freude begegnet wäre. Seinen Ruhestand verbrachte Hans Bräuninger seit 18 Jahren nicht weit von Marbach entfernt, in Anhausen, das ihm zur letzten Heimat geworden ist und wo ihm dank freundlicher und hilfsbereiter Nachbarn das Schicksal des Alleineseins oder der Einsamkeit erspart geblieben ist. Dort führte er ein ruhiges Leben. Als es die Gesundheit noch erlaubte, machte er häufiger kleine und auch größere Reisen mit Jugendfreundin Jutta Isert – sehr spät auch wieder in die Uckermarck, wo er seine Kindheit und Jugend verbracht hatte.
Von dort stammt auch jener bescheidene und schlichte Grabstein aus ungeschliffenem aber an Konturen reiche Granit, den er sich wohl als Symbol für seine Lebenszeit selber ausgesucht hat.
(Trauerrede bei der Beerdigung am 18.1.2007, verfasst von Friedrich Bräuninger)