Recht üppig und delikat, was beim Familientag 1911 in Waiblingen aufgetischt worden ist: Tomatensuppe mit Eierstich, Lachs, gefüllter Truthahn (Welschhahn), englische Nachspeise. Quasi ganz nebenbei sind damals bei solchen Zusammenkünften auch noch Vermählungen und Hochzeiten arrangiert worden.
Familientag mit Brautschau
Den Text hat Fanny Aldinger, geb. Trissler, in den 1940er Jahren geschrieben, Schwiegertochter der Marie Aldinger, geb. Bräuninger.
Die grosse Familie Bräuninger beging alljährlich den Geburtstag ihres Vaters mit einem Familientag. Dies war immer am 26. Februar und fand im grossen Saal des Gasthofes zum Adler in Waiblingen statt. Über 100 Angehörige, Kinder und Enkel kamen dort zusammen und berichteten von ihren Erlebnissen im Lauf eines Jahres. Auch Briefe von Verwandten aus Übersee wurden verlesen und schon geschriebene Antwortbriefe mit den Unterschriften versehen. Die Protagonisten der Geschichte: Emilie, Fanny, Carl und Marie Aldinger.
Auf solch einem Familientag im Jahre 1911 war es, als Karl Aldinger vom Weissenhof sich äusserte, dass er, wenn er die richtige Frau für sich fände, noch gerne in den Ehestand treten würde, trotz seiner 46 Jahre. Bei allen Anwesenden fand er freudige Zustimmung, und eine angeheiratete Base, Frau Luise à Wengen, sagte sofort zu ihm: „Topp, was gilt’s, Vetter Karl, wenn ich dir eine ganz passende Frau wüsste!“ „Dann zeige mit dieselbe und wir wollen dann sehen, ob es so ist“, war die rasche Antwort.
Frau à Wengen hatte meinem Elternhause verschiedene Jahre gegenüber gewohnt und dabei beobachtet und festgestellt, dass es eigentlich recht schade wäre, wenn Fräulein Trißler mit ihrer Arbeitsfreudigkeit kein grösseres Betätigungsfeld hätte, als nur den begrenzten Haushalt ihres verwitweten Vaters und ihres Bruders zu führen.
Kurzentschlossen lud sie mich mit noch zwei befreundeten Nachbarsfrauen, Frau Teichmann und Frau Hanssler, welche von ihr in diese Sache eingeweiht wurden, zu einem gemütlichen Kaffee – zu einem Abschiedskaffee aus Anlass ihres Umzugs in die Neckarstrasse, wie sie sagte, – ein, bei ihren Verwandten auf dem Weissenhof. Ihre, und auch die der beiden Nachbarinnen grösste Sorge war es, dass Fräulein Trissler aber ja den Grund der Einladung nicht merken dürfe, denn es sollte alles zufällig sein.
Doch diese Angst war unnötig, und ich, die ich absolut keine Heiratslust mehr aufkommen liess, war ganz ahnungslos. An einem Apriltag gingen wir auf den Weissenhof und wurden dort von Mutter Aldinger und der Schwester Emilie mit grosser Liebenswürdigkeit um ½ 4 Uhr empfangen. Einflechten will ich, dass besagte Base à Wengen in der Familie sehr viel galt, vermöge ihrer Klugheit und offenen Lebensauffasssung; und auch ich habe sie in dieser Art lieben und schätzen gelernt. Wir nahmen im grossen, freundlichen Wirtschaftszimmer am gemütlichen und festlich mit Blumen geschmückten Familientisch Platz und nun erlebte ich selbst, wie trefflich die Gäste auf dem Weissenhof bewirtet wurden.
Es gab duftenden Kaffee mit herrlicher Vollmilch nebst süssem Rahm. Lockere Dampfnudeln und einem vorzüglichen Apfelkuchen. Es schmeckte alles ausgezeichnet und munterte mich die alte Frau Aldinger immer wieder zum Zugreigen auf. Um 4 Uhr erschien dann auch die in Stuttgart verheiratete Tochter Wilhelmine, Frau Hofrat, deren Hereintreten in das Zimmer und an den Tisch ich noch heute ganz genau vor mir sehe. Und nochmals öffnete sich nach einiger Zeit die Türe und herein trat der Herr des Gutshofes, der geliebte Sohn und Bruder, welcher mit nun von der Mutter vorgestellt wurde.
Leider konnte ich damals nicht die Blicke sehen, die jedenfalls zwischen den „Verbündeten“ währenddem gewechselt wurden. Ich gestehe es gerne, dass mir Karl Aldinger sehr gefiel, und wenn ich nur ein klein wenig die Absicht geahnt hätte, vielleicht doch stutzig geworden wäre; doch dies war nicht der Fall. Es wurde nun eine sehr anregende Unterhaltung geführt, besonders auch, nachdem wir nach einem Gang durch die verschiedenen Stallungen, Kuh-, Pferde- und Schweinestall, zurückkamen. Nachdem man auch noch die Düngungsfrage der Blumenstöcke behandelt hatte, wurde mir zum Mitnehmen eine Tüte Taubenmist versprochen.
Derselbe wirke an denselben wahre Wunder. Beim Abschied vergaßen beide Teile den Taubenmist und nun wurde derselbe der Grund des ersten Besuches von Herrn Aldinger bei mir in meinem Elternhaus. Andern Vormittags schon erschien Herr Aldinger mit einem grösseren Parket dieses Produktes und überreichte es mir mit einen grossen und prächtigen Strauss Blumen aus dem Garten seiner Mutter als mein erstes Geschenk. Die gegenseitigen Besuche wiederholten sich. Man fand Gefallen aneinander und freundete sich an. Auch mein Vater ging auf den Weissenhof mit und mein Bruder Alex war schon gleich in der ersten Zeit ein lieber und gern gesehener Freund bei allen Bewohnern des Weissenhofes, von der Familie bis hinaus zum Schweizer und Küchenpersonal. Doch ich war noch immer ziemlich ahnungslos.
[…]
Eine liebe mütterliche Freundin von mir, die beste Freundin meiner verstorbenen Mutter, Frau Klingler, die ich im Lauf der darauffolgenden Woche besuchte, frug mich: „Nun, was machen die Weissenhofbesuche?“ Als Schwägerin der ersten Frau von einem Bruder der Frau Aldinger vom Weissenhof, kam auch sie mit der Familie zusammen und war auch auf dem Familientag anwesend gewesen. Ich antwortete, dass wir öfters dorthin kommen und auch Herr Aldinger manchmal uns besuchte. „Und du weisst wohl auch den Grund der gegenseitigen Besuche?“
Nun erst dämmerte es mir, und als sie mir sagte, daß er mich zur Frau wolle, war ich unsicher und meinte, dann müsse ich eben die Besuche einstellen, denn ich könne meinen Vater und Bruder nicht verlassen. „Dies wird dich aber nicht viel nützen, denn Herr Aldinger wird dich trotzdem fragen, denn er ist fest entschlossen, dich zu seiner Frau zu machen, und dann weisst du ja gar nicht, ob es deinem Vater nicht recht ist, wenn du dich so gut verheiraten kannst“. Ich ging mit gemischten Gefühlen heim. Am Abend besprach ich mich dann auch mit meinem Bruder, der mir zuredete und meinte, dass er dies geahnt habe.
Vater war zu der Zeit auf der Geschäftsreise und durften wir mit ihm am Sonntag in Ulm zusammen sein. Am Samstag zuvor gingen wir dann noch zum Weißenhof hinauf, ich nun der Sachlage gemäss etwas befangen. Beim Adesagen wünschte man mir für den morgigen Tag alles Gute nebst Grüssen an den Vater und dann auf frohes Wiedersehen am Montag bei uns hier oben. Dies wurde mit vielsagendem Lächeln vorgebracht und ich sagte pflichtschuldigst, nun wissend wie es gemeint war, zu allem „dankeschön“ und „ja“.
Am Sonntag in Ulm, als wir Vater begrüsst hatten und nun auch die Grüsse vom Weissenhof ausgerichtet hatten, meinte er zu mir gewandt: „Und sonst ist nichts dazu zu vermelden?“ Ich erzählte ihm nun die Aussprache mit Frau Klingler und erwiderte Vater: „So, auf das habe ich gewartet“. Er machte es mir recht leicht, meinen Entschluss zu fassen. Andern Tags am Montag ging ich nun erleichterten Herzens und in freudiger Erwartung des nun kommenden Neuen und Schönen auf den von mir im Lauf der folgenden Jahre so sehr geliebten Weissenhof und seinen mit mir treu verbundenen Bewohnern.
Am Montag, 7. Juni 1911, nachmittags 3 Uhr, machte ich Mich erwartungsvoll in Hangen und Bangen auf den Wegzum Weissenhof hinauf. Als ich an den Weinbergen um die Ecke bog, jetziger Eckartshaldenweg, sah ich, dass Herr Aldinger schon nach mir Ausschau hielt. Als ich in Sehweite war, tönte mir der Willkommgruss mit der Bemerkung entgegen: „Nun ist es recht, eben wird mit Kaffeetrinken begonnen, und ich lade Sie herzlich dazu ein!“ Von Mutter Aldinger und Schwester Emilie liebevoll begrüsst, tranken wir alle zusammen den gewohnt guten Kaffee. Als dies beendet war, sagte Herr Aldinger zu mir: „Ich musss jetzt aufs Feld und nach dem Rechten sehen, wollen Sie mich begleiten?“ Ich sagte mit gemischten Gefühlen zu, denn nun war die Stunde der Entscheidung in nächste Nähe gerückt. Mutter und Schwester begleiteten uns vors Haus und wünschten angenehme Unterhaltung.
Wir gingen zuerst durch die Stallungen und bogen dann in den Wiesenweg ein, der durch den Obstgarten führte und späterhin nur der Verlobungsweg hiess. Unter einem blühenden Quittenbaum fragte nun mich Herr Aldinger: „Sie werden es schon längst geahnt haben, daß ich Sie liebgewonnen habe und nun sie bitten möchte, meine Frau zu werden. Alle Voraussetzungen zu einer harmonischen Ehe sind bei uns vorhanden, und wenn Sie ja sagen, machen Sie mich zu einem glücklichen Menschen“ – und ich konnte aus aufrichtigem und frohem Herzen Ja sagen. Ja, allerdings nur sechs Wochen habe ich den mir von der Vorsehung bestimmten Gatten achten und lieben gelernt und durch meinen leider nur zu kurzen Ehestand wurde diese Achtung und Liebe so vertieft, dass ich für meine drei Kinder keinen grösseren Wunsch für ihr Leben hege, als den, dass sie in ihrer Ehe einst gerade so glücklich werden mögen wie ihre Eltern und mit der gleichen Hochachtung und Liebe zueinander den gemeinsamen Lebensweg wandeln und beschliessen mögen.